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Die Anatomische Sammlung der FAU ist definitiv einen Besuch wert. Foto: Lisa Wolf
Die Anatomische Sammlung ist so alt wie die FAU selbst (diese wurde 1743 gegründet). Dementsprechend zahlreich sind alte wie neue Feucht- und Trockenpräparate, Modelle und Plastinate, die die Entwicklung und den Bau des menschlichen Körpers veranschaulichen. Neben wenigen Ganzkörperexponaten sind vor allem einzelne Organe und Körperteile wie z. B. Kehlkopf, Herz (mit Bypässen), Beckengefäße oder Gesichtsmuskulatur zu sehen. Prof. Dr. Winfried Neuhuber, Inhaber des Lehrstuhls für Anatomie I, führte mich durch die Sammlung.
Das gesamte Institutsgebäude in der Krankenhausstr. 9 ist eigentlich ein Museum. Es „steht“ seit 118 Jahren in dieser Form und ist denkmalgeschützt. Die Räumlichkeiten sind großzügig gestaltet, da es früher an einer Lüftungsanlage mangelte. Die Präpariersäle befinden sich heute im dritten, die anatomische Sammlung im zweiten Stock. „Zwischenzeitlich war die Sammlung Jahrzehnte geschlossen, da mein Vorgänger Prof. Johannes Rohen dem Brauch ein Ende bereiten wollte, wonach man den Besuch der Bergkirchweih damit verband sich Gruselgeschichten im Anatomischen Institut erzählen zu lassen.“, so Prof. Dr. Neuhuber. Später wurde die Sammlung neugestaltet mit dem Ziel, sie für eine interessierte Laienöffentlichkeit zugänglich zu machen. Präparate, die nicht dafür geeignet schienen oder dubioser Herkunft waren, wurden eingeäschert und beigesetzt.
Leichen haben keine Farbe
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Die Anatomie des Menschen verblüfft bei näherer Betrachtung. Foto: Lisa Wolf
In der alten Sammlung fällt der Blick zunächst auf zwei Ganzkörpertrockenpräparate. Diese stammen vermutlich aus dem 18. Jahrhundert und wurden nach einer alten Technik konserviert. Dazu legte man wahrscheinlich den Körper zunächst in Alkohol um ihn zu entwässern und anschließend mit heißem Paraffinöl zu imprägnieren. Das Öl tropft zuweilen immer noch ein bisschen unten aus den Präparaten heraus. Wenn ein Leichnam heute in das Anatomische Institut kommt, wird er zunächst als Ganzes in Formaldehyd und Alkohol konserviert. Die einzelnen Feuchtpräparate werden in einer Küvette, die mit Konservierlösung gefüllt ist, ausgestellt. Leichen haben keine Farbe, sie sind, wie man sagt, „leichenblass“. Bei der Konservierung gleichen sich die Farben zusätzlich an und alles wird bräunlich, gräulich. Die Farben, die man an manchen Präparaten sieht, sind nachträglich aufgetragen worden. Der Begriff „gesprengter Schädel“ klingt grausam, verweist aber auf eine subtile Technik. Hierzu wird zunächst das Bindegewebe an den „Nähten“ zwischen den Schädelknochen aufgelöst, um dann Erbsen in das Hinterhauptsloch zu füllen. Wenn die Erbsen quellen, üben sie einen gleichmäßigen Druck aus und „sprengen“ die Schädelnähte. So können die einzelnen Schädelknochen getrennt studiert werden.
In der neuen Sammlung stammen die meisten Präparate aus den 80er und 90er Jahren. Viele davon dienten Prof. Rohen als Motive für seinen weltweit bekannten fotografischen Atlas der „Anatomie des Menschen“. Einige wenige kommen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, möglicherweise auch aus der Zeit des Dritten Reiches. Die Datenlage ist dabei so schlecht, dass nicht genau festgestellt werden kann, ob diese aus einem „Unrechtskontext“ stammen. Dies umso mehr, da bekannt ist, dass es damals an der Erlangener Frauenklinik ein Zentrum für eugenische Zwangssterilisationen und -abtreibungen gab. Dennoch entschied man sich, bei einigen der Fetus-Präparate von der Einäscherung und Beisetzung abzusehen, da sie rar und deshalb unglaublich wertvoll für Studierende der Medizin sind. „Es ist wichtig zu erkennen, dass solche fetalen Präparate die Grundlage für unser Wissen über die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen sind. Ohne dieses Wissen wäre die heutige mit Hilfe von Ultraschall mögliche diagnostische Begleitung einer Schwangerschaft undenkbar. Auf die möglicherweise dubiose Herkunft dieser Präparate wird im Rahmen von Führungen durch sie anatomische Sammlung stets hingewiesen.“, sagt Prof. Neuhuber.
Krankheitsbilder in Extremformen
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Foto: Lisa Wolf
Die anatomische Sammlung bietet auch einigen Exponaten aus der pathologischen Sammlung, die drohten verloren zu gehen, einen Platz. Diese zeigen Krankheitsbilder oft in Extremformen, wie man sie heute nicht mehr kennt, z. B. extreme Arteriosklerose (Arterienverkalkung). Während die normale Anatomie eigentlich ästhetisch ist, sehen pathologische Veränderungen, die das Gewebe zerstören, nicht gerade schön aus.
„Natürlich muss man sich immer kritisch fragen, wo die Präparate herkommen“, sagt Prof. Dr. Neuhuber. Heute kommen sie von Körperspenden. Das heißt, dass eine Person zu Lebzeiten freiwillig verfügt, nach dem Tod ihren Leichnam einem Anatomischen Institut zu Zwecken der medizinischen Forschung, Lehre und Weiterbildung zur Verfügung zu stellen. „Körperspender sind oft selbst Ärzte oder Patienten, die in den Genuss einer gut ausdifferenzierten Medizin kamen. Es ist meist eine Kombination aus Dankbarkeit und dem Bedürfnis, nach dem Tod noch etwas Sinnvolles beitragen zu wollen, das die Spender motiviert. Für die studentischen Kurse benötigen wir 30 bis 40 Leichname pro Jahr und etwa nochmal so viele für chirurgische Weiterbildungskurse. Chirurgen sind sehr dankbar, wenn sie neue Operationstechniken zunächst am anatomischen Präparat ausprobieren können und nicht erstmalig am Patienten.“
Nächste Führung am kommenden Samstag
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Foto: Lisa Wolf
Die Sammlung beherbergt auch einige Mikroskopiergeräte. Hieraus lässt dich schließen, wie Anatomen in der Vergangenheit gearbeitet haben und was sie überhaupt für Möglichkeiten hatten. „Vor ihrer Beobachtungsvirtuosität muss man schon den Hut ziehen.“ Mit dem ersten Elektronenmikroskop, das in den 70ern Einzug am Institut erhielt, verbindet sich eine persönliche Tragik. „Mein Vor-Vorgänger, Karl-Friedrich Bauer musste sich von dem Gerät, das er selbst angeschafft hatte, seine Lieblingstheorie widerlegen lassen, wonach es keine Zellgrenzen zwischen den Nervenzellen im Gehirn gibt.“, erklärt Prof. Dr. Neuhuber. Eine Gerätschaft anderer Art ist das Craniometer, das der Vermessung des Schädels dient. Die Nazis verwendeten das Craniometer schließlich als Werkzeug der Rassenkunde zur Abgrenzung der Ethnien. Die Phrenologie, die in Gestalt zweier mit nummerierten Arealen bemalten Schädeln in der Sammlung zu sehen ist, unterstellte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Zusammenhang zwischen der Größe eines Hirnareals mitsamt der entsprechenden Vorwölbung des Schädels und bestimmten geistige Eigenschaften bzw. dem Charakter einer Person. Diese Wissenschaft wurde jedoch ab absurdum geführt, und Scharlatane verdienten Geld, indem sie durch Betasten des Schädels bestimmten, ob beispielsweise die Anbahnung einer Ehe sinnvoll sei.
Im Rahmen des Collegium Alexandrinums gibt es zweimal jährlich eine gebührenfreie Führung durch die anatomische Sammlung. Die nächste findet am Samstag, den 16. Januar 2016 um 10 Uhr statt.