Was ist die Straßenkreuzer Uni?
Die Straßenkreuzer Uni gehört zum Nürnberger Verein Straßenkreuzer e.V., welcher vor allem für sein monatlich erscheinendes Sozialmagazin (Straßenkreuzer) bekannt ist. Der Verein existiert bereits seit über zwanzig Jahren. Im Jahr 1994 wurde er von engagierten Journalisten, Sozialarbeitern und sozialpolitisch interessierten Menschen gegründet, welche Frauen und Männern in sozialen Schwierigkeiten, Langzeiterwerbslosen, Armen und Obdachlosen ein kleines Einkommen sichern wollten. Von jenen Menschen wird der Straßenkreuzer für 90 Cent selbst angekauft und auf den Straßen der Stadt für 1,80€ zum Verkauf angeboten, sodass sie als kleine Unternehmer einen Gewinn erzielen können. Neben diesem Projekt setzt sich der Verein für weitere Aktionen ein, welche sozial Schwachen zu Gute kommen. Mit der Straßenkreuzer Uni wird allen Interessierten Zugang zu Bildung ermöglicht, egal wie arm oder reich, sozial anerkannt oder nicht. Alle Menschen – Obdachlose, Alleinerziehende, Behinderte und Arme, aber natürlich auch Studienabbrecher, Berufstätige, Studierende, Rentner – können die Vorlesungen besuchen. Die Straßenkreuzer Uni ist einzigartig in Deutschland und wird geleitet von Barbara Kressmann (Eventmanagerin), Ilse Weiß (Redakteurin des Sozialmagazins, Journalistin) und Gabriele Koenig (freie Journalistin). Die beiden zuletzt genannten Organisatorinnen durfte ich im persönlichen Gespräch kennenlernen und konnte einige Fragen zur Straßenkreuzer Uni an Frau Koenig richten.
Frau Koenig, wie lange arbeiten Sie schon für die Straßenkreuzer Uni und was motiviert Sie dabei?
Gabi Koenig: Durch meine langjährige journalistische Tätigkeit bei den Nürnberger Nachrichten konnte ich einiges an Erfahrung sammeln. Nun bin ich als freie Journalistin tätig und gehöre ungefähr seit ihrer Gründung im April 2010 zum Organisationsteam der Straßenkreuzer Uni. Meine Aufgabe besteht dort vor allem im Kontakteknüpfen mit den Dozenten. Daneben bin ich für das Fotografieren während der Veranstaltungen verantwortlich und schreibe Texte. Was ich so einzigartig und großartig an der Straßenkreuzer Uni finde, ist, dass Wissen auf hohem Niveau, aber gleichzeitig in einer einfachen Sprache vermittelt wird. Viele sozial schwache Menschen sind ja nicht weniger intelligent als Bürger der Mittel- und Oberschicht, sondern verfügen lediglich nicht über einen solch ausgefeilten Wortschatz. So können diese Menschen ihren Wissensdurst stillen, welcher durchaus auch in der unteren Gesellschaftsschicht vorhanden ist.
Außerdem stellt das Umschreiben von Vorlesungen in eine allgemein verständliche Sprache immer auch eine Herausforderung für die Dozenten dar. Sie selbst sehen das Wissen, das sie tagtäglich vermitteln, in einem anderen Licht. Die Neugierde und der Genuss der Hörer sind jederzeit spürbar. Das erfüllt mich. Sie lernen neue Orte innerhalb der Stadt kennen und kommen heraus aus ihrem begrenzten Erfahrungsraum. Es werden Schwellen auf beiden Seiten überschritten: auf der Seite der Hörer, der meist Obdachlosen oder sozial Benachteiligten wie auch auf der Seite der Dozenten oder Prominenten, welche einen Einblick in die Lebenswelt sozial schwächerer Mitmenschen bekommen. Wir unterstützen eine Begegnung, die ansonsten nicht stattfinden würde. All diese Punkte empfinde ich als äußerst motivierend für meine Arbeit. Ein neues Projekt der Straßenkreuzer Uni, das ebenso gut aufgenommen wird, sind die Deutschkurse für die zahlreichen rumänischen Obdachlosen.
Wie kam es zur Gründung der Straßenkreuzer Uni?
Gabi Koenig: Meine Kollegin Ilse Weiß besuchte im Jahr 2010 einen Kongress zur internationalen Obdachlosenzeitung in Norwegen. Dort lernte sie „Megaphon“ aus Graz kennen und stattete der Gruppe wenige Zeit später kurzerhand einen Besuch ab. Diese hatte mit der „MegaphonUni“ eine der ersten Obdachlosen-Unis überhaupt etabliert. Noch im selben Jahr wurde nach dem Grazer Vorbild die Straßenkreuzer Uni in Nürnberg gegründet. Prof. Johanna Haberer, welche unter anderem die Professur für Christliche Publizistik im Fachbereich Theologie der FAU innehat, interessierte sich für unser Projekt und schlug eine engere Zusammenarbeit mit Dozenten der Universität Erlangen-Nürnberg vor. Bald schon wurde die erste Vorlesung der Straßenkreuzer Uni von einem Juristen der FAU abgehalten. Seit der Gründung konnten wir immer mehr Dozenten und Prominente für unsere Veranstaltungen gewinnen. Viele finden unser Projekt so bereichernd, dass sie selbst die Initiative ergreifen, ein weiteres Mal zu kommen.
Erfreut sich die Straßenkreuzer Uni immer noch einer regen Nachfrage?

Die Straßenkreuzer Uni zu Besuch in der Biochemie der FAU – Im Januar 2013 lautete der Schwerpunkt Verbrechen. Foto: Gabi Koenig
Gabi Koenig: Wir veranstalten regelmäßig Werberunden. Darüber hinaus haben wir aufgrund unserer beruflichen Ausrichtung einen guten Draht zu den Medien. Deshalb ist die Nachfrage nach wie vor sehr groß. Unsere bisherigen zwölf Semester besuchten insgesamt ungefähr 4500 Hörer. Pro Semester sind es circa 330 bis 350 Teilnehmer und pro Veranstaltung kommen zwischen zwanzig und dreißig Besucher. Bei prominenten Dozenten sind es manchmal sogar bis zu siebzig Hörer. Prominente Gäste waren bisher beispielsweise Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Schauspieler Max Müller, der Evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Nürnberger Oberbürgermeister. Durch Mundpropaganda verbreitet sich unser Projekt immer weiter. Auch die Vortragenden zögern nicht lange. Einige geben nach ihren Vorlesungen bei uns zu, ihnen gefalle es hier besser als bei der Universität, für die sie hauptberuflich arbeiten. Sie sind immer wieder überrascht von den klugen Fragen und der Ehrlichkeit unserer Hörer. Manche bereiten sich sogar mit einer eigens für unsere Veranstaltung angefertigten Power Point Präsentation vor. Stimmen zur Straßenkreuzer Uni können auch auf unserer Homepage nachgelesen werden.
Wie organisiert sich die Straßenkreuzer Uni und wie läuft eine Veranstaltung ab?
Gabi Koenig: Durch Spendengelder werden wir finanziert. Zugelassen ist an unserer Uni jeder – kein Schulabschluss ist notwendig. Mit den Vorträgen gehen wir zu den Menschen in die verschiedenen Obdachloseneinrichtungen im Gebiet von Nürnberg, Erlangen und Fürth. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil unsere Hörer sich dann innerhalb verschiedener Einrichtungen bewegen und ihren Horizont erweitern. Sie lernen sozial Schwache anderer Einrichtungen kennen und fühlen sich nicht mehr dermaßen alleine. Natürlich lernen sie auch sozial höherstehende Menschen kennen, denn auch Interessierte, die keine sozialen Probleme haben, kommen zu uns. Circa die Hälfte unserer Veranstaltungen machen solche Menschen aus. So findet tatsächlich ein Zusammentreffen verschiedenster sozialer Schichten statt, was für alle extrem gewinnbringend ist.
Unser Semesterprogramm beinhaltet mehrere Vorlesungsreihen mit circa drei Veranstaltungen pro Reihe. Eine Vorlesung gliedert sich in dreißig Minuten Vortrag und dreißig Minuten Fragerunde und Diskussion. Auch das ist neu und spannend für die Dozenten. Als Vortragende organisieren wir Dozenten gewöhnlicher Universitäten und immer wieder auch Prominente. Es werden stets aktuelle Themen in zugespitzter Form verhandelt, damit sich die Hörer etwas unter dem Motto der Vorlesung vorstellen können. Dabei orientieren wir uns an den Vorschlägen der Besucher. Meine Kollegin Barbara ist hauptberuflich Eventmanagerin. Sie dokumentiert und evaluiert unsere Veranstaltungen und hält somit quasi die Fäden zusammen. Nach jeder Vorlesung werden Fragebögen ausgeteilt und ausgewertet. Neben den Vorlesungen gibt es immer auch Workshops, Ausflüge und andere Specials während des Semesters. Am Ende eines jeden Semesters findet eine Abschlussfeier statt, bei der fleißige Hörer Urkunden erhalten. Prüfungen gibt es bei uns allerdings nicht. Als Dankeschön für die Dozenten, die allesamt ehrenamtlich für uns tätig sind, organisieren wir eine soziale Stadtführung, das heißt, wir zeigen ihnen Anlaufstellen für Obdachlose und sozial Schwache innerhalb der Stadt wie die Heilsarmee oder die Stadtmission.
Wie lautet Ihr Fazit? Was hat sich durch die Straßenkreuzer Uni verändert?
Gabi Koenig: Zunächst einmal eine wichtige Erkenntnis: es gibt kein Thema, das nicht interessiert! Zu viele Menschen werden allerdings von Bildung ausgeschlossen. Was sich verändert hat? Das kann ich am besten anhand einiger Beispiele erklären: ein Hörer namens Francesco besuchte unsere Veranstaltung das erste Mal mit Piratentuch und Handschuhen bekleidet und dem Kopf stets hinabhängend. Nach einiger Zeit öffnete er sich, legte Handschuhe und Kopftuch ab und hörte gespannt zu. Andere Teilnehmer haben durch die Straßenkreuzer Uni Selbstvertrauen gewonnen und wieder eine Arbeit gefunden. Einige unserer Hörer sterben allerdings auch, denn viele leiden unter Suchterkrankungen oder anderen Krankheiten. Für diese ist der Besuch der Straßenkreuzer Uni ein wichtiger Teil ihres letzten Lebensabschnitts. Trotz der psychischen und physischen Probleme vieler Besucher und obwohl die meisten Hörer über vierzig Jahre alt sind, gibt es wenige Störungen während der Vorlesungen. Sozial vernachlässigte Menschen öffnen sich, sind interessiert und verblüffen die Dozenten mit ihrer natürlichen Art, intelligente Fragen zu stellen.
Vielen Dank an Gabi Koenig und Ilse Weiß für das nette Gespräch!
Schaut selbst vorbei!
Hier kann das Programm des aktuellen Semesters heruntergeladen werden.
Unter anderem dabei: die Historikerin und Schriftstellerin Dr. Sabine Weigand, der Biologe Dr. Jürgen Schmidl (FAU), der Klimatologe Prof. Dr. Thomas Mölg (FAU) und der Autor Timur Vermes („Er ist wieder da“).
Semesterstart: 28. April
Viel Spaß!