Fahrradfahren und Erlangen – das gehört einfach zusammen. Gerade die Studierenden sorgen dafür, dass Erlangen nicht nur als Unistadt, sondern gleichsam als Fahrradstadt sehr bekannt ist. Für einen Studenten an unserer Uni spielt das Fahrrad allerdings eine noch viel größere Rolle, ja es macht sogar einen zentralen Bestandteil seines Lebens aus: Lukas Kohl ist 21 Jahre alt, studiert Wirtschaftsingenieurwesen an der FAU und er ist der amtierende Weltmeister im Kunstradfahren. Wie Lukas es geschafft hat, ein aufgeschlossener und engagierter Student zu sein und gleichzeitig einen Weltmeistertitel zu gewinnen und was für ihn das Faszinierende am Kunstradfahren ist, erfahrt ihr hier. Trotz seines getakteten Wochenplans hat sich der Sportler aus Ebermannstadt Zeit genommen, um sich Euch in einem Interview vorzustellen.
Hallo, Lukas! Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Weltmeistertitel! Wie fühlst Du dich nach einem so großartigen Erfolg?
Lukas: Vielen Dank! Das ist eine nicht so leichte Frage. 2016 habe ich zum ersten Mal an der Weltmeisterschaft teilgenommen und wusste deswegen nicht, was mich genau erwartet. Zudem bin ich noch nie zuvor vor so vielen Zuschauern aufgetreten. Es kam also eine große Unbekannte ins Spiel und ich war überhaupt sehr froh, einen der beiden deutschen Startplätze zu bekommen. Deswegen habe ich mir vor meinem Start keinen übermäßigen Druck aufgebaut, sondern hatte lediglich das Ziel vor Augen, im Finale noch einmal starten zu dürfen, also in der Vorrunde unter die besten vier zu kommen. Dies habe ich dann auch geschafft, weshalb ich im Finale sehr befreit auftreten konnte. Nach meiner Final-Kür war ich überglücklich, dass ich ein zweites Mal an dem Tag so super durch meine Kür gekommen bin. Auf das Ergebnis von 199,43 Punkten an meiner ersten WM-Teilnahme war ich sehr stolz und habe mich riesig darüber gefreut.
Auf der Leader-Couch habe ich dann die Kür von Michael Niedermeier, dem zweiten deutschen Starter, verfolgt. Als er ein paar Sekunden vor Schluss vom Lenker abgerutscht ist, wusste ich nicht so wirklich, was jetzt passiert, da seine Punktzahl unter meine gerutscht ist und ich damit die höchste Wertung hatte. Ich konnte das gar nicht glauben, denn damit habe ich im Vorfeld nicht einmal ansatzweise gerechnet. Doch da ich einen guten Draht zu Michael Niedermeier habe, litt ich richtig mit, als seine Punktzahl weniger wurde aufgrund des Sturzes.
Die anschließende Siegerehrung, Pressekonferenz und das WM-Bankett verbrachte ich dann aber gefühlt auf Wolke sieben. Zwei Tage später wurde ich davon wieder runtergeholt, als ich morgens in der Uni meine Veranstaltung besuchte. Die Emotionen sind wieder aufgekocht, als mich sämtliche Glückwünsche erreicht haben, mir mein Verein (RMSV Concordia Kirchehrenbach) einen tollen Empfang bereitet hat und ich schließlich noch geehrt wurde und meinen ersten Fernsehauftritt hatte. Doch mittlerweile haben sich die Gefühle beruhigt und die Emotionen sind sortiert und ich kann nur sagen, dass sich die ganze Weltmeisterschaftsteilnahme und auch die Zeit danach richtig großartig anfühlen. Ich freue mich auf die neue Saison, wenn ich bei meinen Wettkämpfen dann erstmals im Weltmeistertrikot starten darf.
Was fasziniert Dich so sehr am Kunstradfahren?
Lukas: Was ich an meinem Sport richtig toll finde, ist die große Kunstradfamilie. Wir Konkurrenten trainieren zusammen, geben uns gegenseitig Tipps und zelten sogar zusammen am Brombachsee oder gehen zusammen Skifahren. Das kenne ich aus keiner anderen Sportart, dass die direktesten Konkurrenten (Weltmeister und Vize-Weltmeister) so viele gemeinsame Sachen machen. Man unterstützt sich gegenseitig bei den Lehrgängen und auch bei den Wettkämpfen selbst.
Weiter finde ich es spannend, dass es beim Kunstradfahren auf die perfekten fünf Minuten ankommt. Man hat genau eine Chance für jede Übung und kann geschehene Fehler nicht wiedergutmachen. Wenn wir bei einer der 30 Übungen einen Fehler begehen, werden die Punkte abgezogen und dann sind sie weg. Wir können nur versuchen, den Fehler abzuhaken, sodass wir uns bei den anderen 29 Übungen nicht rausbringen lassen.
Dann gefällt mir auch die Vielseitigkeit beim Kunstradfahren. Es kommt auf die Kraft an, auf die Ausdauer, die Koordination, den Mut, die Reaktionsschnelligkeit, die Beweglichkeit, die Konzentration. Man braucht sehr viel Geduld, gepaart mit Disziplin, Motivation und Ehrgeiz, um die Einzelübungen so zu perfektionieren, dass die Kür am Ende akrobatisch, harmonisch und ästhetisch ausschaut. Das Schwierige beim Erlernen neuer Übungen ist, dass es nicht ausreicht, seinen Körper zu steuern, sondern dass man das Rad genauso unter Kontrolle haben muss.
Wann hast Du mit dem Kunstradfahren begonnen und wie bist Du dazu gekommen?
Lukas: Kunstradsport betreibe ich nun seit zwölf Jahren, also über mein halbes Leben lang. Ursprünglich wollte ich mit dem Radballsport beginnen. Empfohlen wurde mir, da man beim Kunstradfahren seine Körper- und Radbeherrschung schneller erlernt als beim Radball, dass ich ein halbes Jahr lang Kunstrad fahre und danach in das Radballtraining einsteige. So hatte ich dann einmal pro Woche mein Kunstradtraining, das mit der Zeit auf dreimal wöchentlich erhöht wurde, und zudem das Zusatztraining außerhalb der Halle in Form von Ausdauertraining und der täglichen Handstandeinheit. Nebenbei wurden immer mehr Wochenenden verplant mit Kaderlehrgängen, zunächst im Bayerischen Landeskader, dann in der Juniorennationalmannschaft, nun in der Nationalmannschaft und im Team Bayern. Auch hat die Anzahl der Wettkämpfe zugenommen sowie die Entfernung von den Wettkampforten. Ein kleiner Bruchteil liegt in einer Entfernung von einer Stunde, aber meistens sind wir viel länger unterwegs.
Das Kunstradfahren gehört eher zu den unbekannteren Sportarten. Lukas, stört es Dich manchmal, häufig erklären zu müssen, was Du eigentlich tust?
Lukas: Leider hast du da Recht. Wenn ich gefragt werde, was ich sportlich mache, dann muss ich sehr oft erstmal erklären, was meine Sportart überhaupt ist. Ich finde es sehr schade, dass sich kaum jemand etwas unter Kunstradfahren vorstellen kann. Da wir eine eher unbekannte Randsportart sind, bekommen wir praktisch keine Medienpräsenz. Auch denkt man, dass ein Weltmeister ein Preisgeld oder Ähnliches bekommt. Doch auch das gibt es nicht bei uns. Ich betreibe meinen Sport praktisch nur aus Spaß, wegen der tollen Gemeinschaft und den daraus entstehenden tollen Erlebnissen.
Im letzten Jahr hast Du bis zur Weltmeisterschaft im Dezember fast jeden Monat mindestens einen Wettkampf bestritten. Wie hast Du es geschafft, den Sport mit Uni und Freizeit zu vereinbaren?
Lukas: Das ist richtig. 2016 bin ich zu vierzehn Wettkämpfen angereist und habe damit, auch aufgrund der weiten Entfernungen (die Wettkämpfe sind nicht nur in Deutschland), vierzehn Wochenenden „geopfert“. Doch dazu kamen noch Kaderlehrgänge und andere Kunstradtermine. Somit hatte ich letztes Jahr zehn freie Wochenenden und dieses Jahr werden es noch weniger sein. Meine ganze Lernzeit und alles, was ich für die Uni mache, muss ich unter der Woche unterbekommen, zusätzlich zu den Vorlesungs-, Übungs- und Tutoriums-Veranstaltungen. Das ist nicht leicht. Nur aufgrund meines guten Zeitmanagements und meiner starken Disziplin bekomme ich Kunstradfahren und Studium erfolgreich unter einen Hut. Mir bleibt praktisch keine freie Zeit mehr übrig, denn die ganze Woche ist genau getaktet.
Wie sieht Dein typisches Training aus?
Lukas: Das ist unterschiedlich. Nach meiner Saison, so wie jetzt gerade, steht das Erlernen neuer, noch schwierigerer Übungen im Vordergrund. Wenn es dann weiter in Richtung Saison geht, steht das Perfektionieren meiner Kür im Mittelpunkt. Das Ausdauertraining wird ausgebaut, um dann in den entscheidenden fünf Minuten topfit zu sein und alles abrufen zu können. Doch egal, ob ich vor, in oder nach der Saison bin, mache ich täglich meine Handstände. Sonst würde ich da ganz schnell Rückschritte machen, die ich nur schwer wieder austrainieren könnte.
Du konntest bereits als Schüler und in der Klasse der Junioren etliche Erfolge erzielen. Wie wichtig ist Dir der Erfolg im Sport, Lukas?
Lukas: Ich kann den Erfolg nicht verfolgen, sondern, wie es der Name sagt, erfolgt Erfolg. Ich kann jedoch so trainieren, dass ich Top-Leistungen abrufen kann. Für mich stand fest, als ich in meinem Kunstradsport immer besser wurde, dass ich ihn als Leistungssportler betreiben werde. Nun bin ich Höchstleistungssportler. Bevor ich 2010 Deutscher Schülermeister wurde, begann ich verstärkt mit dem zusätzlichen Training außerhalb der Halle und der Meistertitel hat mir bestätigt, dass sich der Einsatz ausbezahlt. Und so hat sich mein ganzer Einsatz mit meinen Erfolgen bestätigt. Doch in meinem Sport geht alles ganz schnell; 30 Übungen in fünf Minuten – da sind schnell Fehler gemacht und damit Punkte verloren. Deswegen ist jeder Wettkampf sehr spannend. 2016 konnte ich mich gut verbessern, doch ich kann auch ganz schnell an einem Wettkampf zurückfallen.
Womit verbringst Du, abgesehen vom Kunstradfahren, gerne Deine Freizeit?
Lukas: Ich unterscheide in der Frage, womit ich meine Freizeit verbringe und dann, womit ich sie gerne verbringen würde. Bei meiner Kunstradintensität und dem Studium „nebenbei“ habe ich kaum Zeit, die ich nicht in Anfahrten, Handstände, Ausdauertraining und ganz viel Lernen stecke. Wenn doch etwas übrigbleibt, gehe ich gerne Skifahren und Mountainbiken, bin also ebenfalls sportlich unterwegs. Wenn meine Woche aus acht Tagen bestehen würde, dann würde ich auf jeden Fall mehr meinen sportlichen Hobbys (nicht Kunstrad) nachgehen. Natürlich würde dann auch mehr Zeit für die Kumpels bleiben.
Lukas, gibt es Momente, in denen Dir alles zu viel wird und Du den Sport an den Nagel hängen möchtest? Wie motivierst Du dich?
Lukas: Es gab sicherlich einige Momente, an denen ich überlegt habe, wie ich das zeitlich alles hinbekommen soll. Doch an Aufhören habe ich nie gedacht! Mich motiviert die klasse Gemeinschaft unter uns Kunstradfahrern und die damit verbundenen tollen Momente und Erlebnisse. Ion Tiriac sagte einmal: „Gibt es etwa eine bessere Motivation als den Erfolg?“ So habe ich letztes Jahr viel Motivation tanken können :-).
Zu Beginn des Jahres bist Du bereits zum fünften Mal hintereinander zum Sportler des Jahres aus dem Landkreis Forchheim gewählt worden. Was bedeutet Dir dieser Titel?
Lukas: Ich finde es klasse, dass es eine solche (inoffizielle) Wahl gibt, die nun schon zum fünften Mal von den Nordbayerischen Nachrichten durchgeführt wurde. Meine Siege waren auch teilweise sehr knapp, besonders der zu Beginn dieses Jahres. Doch damit wird mir nicht nur die Unterstützung innerhalb der Kunstradgemeinschaft, sondern auch in meinem Landkreis, meiner Heimat bestätigt. Deswegen freut es mich sehr, dass so viele Leute für mich abgestimmt haben.
Du kannst Dich mit 21 Jahren bereits Weltmeister nennen. Welche Ziele hast Du noch vor Augen?
Lukas: Ich bin 2016 Oberfränkischer Meister, Bayerischer Meister, überraschend Deutscher Meister und komplett unerwartet Weltmeister geworden. Ich habe mich letztes Jahr als Verfolger angesehen, doch dieses Jahr bin ich vom Jäger zum Gejagten geworden. Damit ist das für mich eine neue Situation, doch auf diese Herausforderung freue ich mich. Ein Sprichwort besagt ja, dass Erfolg passieren kann, doch wirklich schwer sei es, den Erfolg zu bestätigen. Dafür trainiere ich so viel und so hart und freue mich auf die Wettkämpfe.
Was bedeutet das Kunstradfahren für Dich?
Lukas: Kunstradfahren ist meine große Leidenschaft.
Vielen Dank, Lukas, für das spannende Gespräch, alles Gute und viel Erfolg weiterhin beim Kunstradfahren und beim Studieren!
Auf seiner Homepage findet Ihr Bilder und Videos von Lukas beim Kunstradfahren. Lasst Euch anstecken von seiner Begeisterung für diese ästhetische und faszinierende Sportart! Viel Spaß!