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„Nach den oft extremen Eindrücken kommt einem Erlangen dann immer geradezu unwirklich vor“

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"Ich engagiere mich seit 35 Jahren für die Menschenrechte, weil ich von der Sache überzeugt bin." Foto: FAU

„Ich engagiere mich seit 35 Jahren für die Menschenrechte, weil ich von der Sache überzeugt bin.“ Foto: FAU

„Einem Menschen seine Menschenrechte verweigern bedeutet, ihn in seiner Menschlichkeit zu missachten“ – Nelson Mandela.

Diesem Zitat würde Menschenrechtler und FAU-Professor Heiner Bielefeldt sofort zustimmen. Der Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik ist zudem Theologe, Historiker und Philosoph und setzt sich leidenschaftlich für Menschenrechte auf der ganzen Welt ein.  Zwischen Seminaren, seiner Tätigkeit bei der UN und unzähligen weiteren Projekten hatte Herr Bielefeldt Zeit, ein paar Fragen zu seiner Person, seinem Werdegang und natürlich seinem wichtigsten Themengebiet, den  Menschenrechten, zu beantworten.

Auf der ganzen Welt finden jeden Tag Menschenrechtsverletzungen statt. Gibt es ein Thema, welches Sie immer wieder besonders bewegt?

Heiner Bielefeldt: Ich bin immer wieder aufs Neue fassungslos darüber, wie kleinkariert und engherzig viele Regierungen mit religiöser und weltanschaulicher Vielfalt umgehen. Im Namen der Extremismusbekämpfung geht etwa Russland derzeit massiv gegen die Zeugen Jehovas vor. Was an deren gewaltloser Missionstätigkeit „extremistisch“ sein soll, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Solche Beispiele gibt es ohne Ende. Beklommen machen mich aber auch die Bilder von Flüchtlingen aus Afghanistan, Irak oder Syrien, die Schlimmstes erlebt haben und nun an den Stacheldrahtzäunen europäischer Staaten hängen bleiben.

Wie wichtig schätzen Sie, angesichts der weltpolitischen Situation, die Wichtigkeit von interreligiösen Dialogen ein?

Heiner Bielefeldt: Das Thema Dialog liegt mir sehr am Herzen. Denn da, wo Kommunikation zusammenbricht, nistet sich sehr schnell Misstrauen ein, das sich bis hin zur politischen Paranoia auswachsen kann. Im Libanon habe ich beeindruckende Projekte erlebt, in denen Menschen unterschiedlicher religiöser Orientierung sich gegen die drohende Spaltung der Gesellschaft richten. Oft haben solche Projekte auch ganz praktische Ziele, etwa die gemeinsame Betreuung von Gefängnisinsassen. Es geht aber nicht nur im Dialog zwischen Angehörigen unterschiedlicher Religionen. In der von UN-Blauhelmen bewachten Pufferzone auf Zypern konnten wir kürzlich ein Projekt unter dem Titel „cross-boundary-communication“ durchführen, bei dem Religionsaktivisten, Parlamentsabgeordnete und zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen kamen. Wichtig ist auch eine Beschäftigung von historischen Traumatisierungen vor allem der jüngeren Geschichte. Wo dies ausbleibt, können die „Geister der Vergangenheit“ nie zur Ruhe kommen. Das Ergebnis ist ein Klima von Misstrauen und Nervosität, in dem kleine Missverständnisse leicht einen Flächenbrand entzünden können.

Sind, angesichts der derzeitigen Flüchtlingssituation, Menschenrechte und deren Schutzwertigkeit im öffentlichen Diskurs wieder mehr in den Vordergrund gerückt?

Heiner Bielefeldt: Das Thema Menschenrechte ist in der Öffentlichkeit stark präsent. So weit, so gut. Sorge bereitet mir allerdings eine rechtspopulistische Stimmungslage, die dazu tendiert, die Menschenrechte in den Gegensatz zur Demokratie zu stellen. Das erinnert an Carl Schmitt, der die Demokratie an der Durchsetzungskraft einer möglichst kompakten Mehrheit bemaß und gegen Menschenrechte und Minderheitenrechte ausspielte. Das ist eine gefährliche Tendenz, auch in Europa.

Sie sind seit Jahren UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Würden Sie uns kurz erläutern, wie ihre Aufgaben dort aussehen?

Heiner Bielefeldt: Die Tätigkeit beinhaltet drei unterschiedliche Arbeitsebenen: Den diplomatischen Einsatz in konkreten Einzelfällen, länderspezifische Berichte und schließlich thematische Berichte. Die Einzelfallarbeit läuft in einem vertraulichen Verfahren auf dem Schriftweg über die Botschaften der jeweiligen Staaten bei der UNO in Genf. Wunder kann man davon nicht erwarten, in manchen Fällen hat es aber geholfen, etwa als Massenabschiebungen von Ahmadiyya-Muslimen aus Thailand nach Pakistan drohten, wo die Ahmadis systematisch verfolgt werden. Die aufregendste Komponente sind sicherlich die „Fact-Finding-Missions“ in einzelnen Ländern. Mit einem kleinen Team bewegen wir uns dann einige Zeit im entsprechenden Land. Dabei kommt es immer zu bewegenden Begegnung. Wir sind beispielsweise durch Flüchtlingslager in Jordanien und Libanon gestiefelt, haben indigene Völker in Paraguay und Bangladesch besucht, konnten komplizierte Debatten im Parlament von Kasachstan führen und stießen wiederholt mit Polizei und Geheimdiensten in Vietnam zusammen. Viele Erfahrungen lassen einen nie mehr los. Es sind erschütternde Begegnungen darunter. Ich denke etwa an Hindu-Frauen in Bangladesch, die als Witwen in demütigender Abhängigkeit leben müssen. Ganz begeistert war ich von der Aufbruchsstimmung in Sierra Leone, einem Land, aus dem man sonst nur Schreckliches hört. Nach den oft extremen Eindrücken einer Fact-Finding-Mission kommt einem Erlangen dann immer geradezu unwirklich vor. Schließlich gibt es dann noch die thematische Dimension der Arbeit. Zweimal jährlich verfasse ich als thematische Berichte an die Generalversammlung in New York bzw. den Menschenrechtsrat in Genf, die ich in diesen Gremien dann auch mündlich vertreten und diskutieren muss. Recht ruppig verliefen die Debatten in New York zum Recht auf Glaubenswechsel oder zu Gender-Fragen im Kontext der Religionsfreiheit. Positive Resonanz fand ich hingegen in Genf mit Berichten über Gewalt im Namen der Religion oder über das Verhältnis zwischen Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit.

Was würden Sie Studenten raten, die sich für Menschenrechte einsetzen wollen? Wie kann man dies am besten tun?

Heiner Bielefeldt: Es gibt viele Möglichkeiten. Mein eigener Einstieg in der Studienzeit war die lokale Gruppe von Amnesty International. Hier in Erlangen hat AI ja auch eine Hochschulgruppe, die sich sicherlich über Zuwachs freut. Menschenrechtsarbeit findet aber auch in der eigenen Gemeinde statt. Viele Studierende engagieren sich zum Beispiel für Flüchtlinge, indem sie Rechtsberatung oder medizinische Hilfe leisten. Da können auch die Fachkompetenzen, die man im Studium aufbaut, zum Zuge kommen.

Man kann Ihren Lebenslauf durchaus als spannend bezeichnen. Würden Sie jungen, politisch interessierten Abiturienten raten, Politikwissenschaften zu studieren, weil sie damit später einmal ähnlich viel bewirken und leisten können wie Sie persönlich?

Heiner Bielefeldt: So etwas kann man nicht planen. Ich engagiere mich seit 35 Jahren für die Menschenrechte, weil ich von der Sache überzeugt bin. Dass daraus eine professionelle Tätigkeit werden würde, hatte ich nicht geahnt.

Sie lehren in Politischer Wissenschaft, Philosophie und Rechtswissenschaften an der FAU. Darf ich Ihnen die persönliche Frage stellen, wie sie das zeitlich mit ihren vielen anderen Tätigkeiten managen?

Heiner Bielefeldt: Darüber denke ich am besten gar nicht nach.

Vielen Dank für das Interview.

 

Milena Kühnlein

 


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