Louisa Hecht studiert im 9. Fachsemester Medizin an der FAU und hat zusammen mit Kommilitonen eine Anamnesegruppe gegründet. Hier lernen Mediziner, Zahnmediziner, Psychologen und Logopäden gemeinsam den Umgang im Gespräch mit Patienten. Das Projekt verfolgt auch insofern eine enorm wichtige Aufgabe, als dass die Studierenden hier ergänzend zum Studium Kontakt zu realen Patienten erfahren. Nun wurde Louisa Hecht dafür von der Deutschen Balint-Gesellschaft e.V. (DBG) ausgezeichnet.
Erstmal vorab: Was genau versteht man unter Anamnese?
Louisa: Anamnese ist das Erstgespräch zwischen einem Arzt und einem Patienten. Also das, worauf alle folgenden Untersuchungen und Therapieentscheidungen aufbauen. Im Medizinstudium haben wir erst ab dem 8. Semester Kontakt zu Patienten. Um diese entscheidende Fertigkeit des Arzt-Seins schon früher zu trainieren, habe ich mit ein paar Kommilitonen zum Wintersemester 2015/16 die Anamnesegruppen Erlangen gegründet.
Wie bist Du auf diese Idee gekommen?
Louisa: Ich habe in München meine Vorklinik gemacht. Dort habe ich das Konzept der Anamnesegruppen kennen gelernt. Als ich nach dem Physikum nach Erlangen kam, habe ich gemerkt, dass es hier keine derartigen Projekte gab. Da habe ich mit ein paar Kommilitonen beschlossen auch in Erlangen Anamnesegruppen auf zu bauen.
Du wurdest 2016 für die Erlanger Anamnesegruppen von der Deutschen Balint-Gesellschaft e.V. ausgezeichnet. Was unterscheidet denn die Erlanger Anamnesegruppen von den bisherigen?
Louisa: Im Unterschied zu Anamnesegruppen in anderen Universitätsstädten sind bei uns auch Studenten anderer Heilberufe willkommen. Schließlich ist die Anamnese das, was diese Berufe alle miteinander vereint. Hier in Erlangen ist uns zudem wichtig, die Studenten auf die Sitzungen in den einzelnen Kliniken vorzubereiten. Dafür simulieren wir zu Semesterbeginn vorab das Anamnesegespräch mit einem Schauspielpatienten. Wie in anderen Anamnesegruppen auch, hat während des Semesters dann jeder Student die Möglichkeit, einmal eine 30-minütige Anamnese mit einem realen Patienten in der Klinik zu führen. Als eine weitere Besonderheit hier in Erlangen besuchen uns regelmäßig Hausärzte Erlanger Lehrpraxen, um die Arbeit in den Kleingruppen zu supervidieren. So wird der Bezug zum praktischen Beruf noch realer für die Teilnehmer. Wir sind der Meinung, dass durch diesen strukturierten Rahmen, die Studenten noch mehr aus den Anamnesegruppen mitnehmen können und möchten daher auch andere Städte mit unserem Konzept inspirieren.
Ihr simuliert die Gespräche mit Schauspielpatienten.
Louisa: Ja genau, wir spielen den Ablauf mit Schauspielpatienten durch, bevor die Studenten an echte Patienten herantreten. Diese Schauspielpatienten sind sehr erfahren und lernen in einer separaten Schulung einen realen Patienten nachzuspielen. Sie haben ein sehr feines Gespür für die Studenten und gehen auf den jeweiligen Lernstand individuell ein, um die Anamnese eben entweder etwas leichter, oder etwas komplizierter zu gestalten.
Lernt Ihr die Anamnese in Kursen an der Uni?
Louisa: In der Theorie lernen wir diesen Gesprächsaufbau in der Uni, zum Beispiel die Unterschiede zwischen der vegetativen Anamnese, der Familienanamnese, Sexualanamnese und wie man überhaupt an das Gespräch herangeht. Im tatsächlichen Patientengespräch ist es aber nochmal etwas ganz Anderes.
Wodurch unterscheidet sich der Aufbau der Gespräche bei eurer Gruppe, im Vergleich zu dem, was Ihr an der Uni lernt?
Louisa: In der Uni führen wir die Anamnese meist in den höheren Semestern. Dabei stehen dann mehrere Studenten um das Krankenbett des Patienten und versuchen so schnell wie möglich so viel wie möglich zu erfahren. Bei uns steht das Arzt-Patient-Verhältnis eher im Vordergrund, weswegen immer nur ein Teilnehmer eine Anamnese führt.
Warum ist die Anamnese so wichtig?
Louisa: Man hat als Arzt eine enorm hohe Verantwortung. Wir erfragen nicht nur schlicht die Krankheitsbilder, sondern wir lernen den Patient als Menschen kennen. Daher ist es wichtig, die richtige Gesprächsführung auch praktisch zu üben, einfach weil jeder Mensch anders ist.
Ärztinnen und Ärzte sind im Berufsalltag zeitlich sehr eingespannt. Leidet die Qualität eines Anamnesegespräches unter diesem Stress?
Louisa: Bei unserer Simulation haben wir dreißig Minuten Zeit, so viel Zeit hat man im wahren Leben niemals für einen Patienten. Uns geht es auch nicht darum das Prinzip total real dazustellen, sondern die Studenten im Umgang mit Menschen und dem Beziehungsaufbau mit Patienten zu schulen. Je sicherer man darin ist, desto besser und schneller kann man einen Patienten im Gespräch analysieren. Irgendwann erkennt man Schlüsselwörter und Gesichtsausdrücke sofort und kann schneller in die Metaebene des Gesprächs gelangen. Genau das ist es, was einem im späteren Klinikalltag hilft, gute Anamnesen auch mit dem richtigen Zeitmanagement zu führen.
Warum ist der Beziehungsaufbau zum Patienten eigentlich so wichtig?
Louisa: Wegen des Erfolgs. Ich behandle keine Krankheit, sondern einen Menschen mit Krankheit. Es gibt zum Beispiel im Falle von Herzinfarkten Studien die belegen, dass depressive Menschen geringere Erfolgschancen auf eine vollständige Genesung haben. Wenn ich durch die Anamnese herausfinde, dass ein Mensch einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, kann ich individuell darauf eingehen. Dadurch fühlt sich der Patient besser aufgehoben, die Heilungschancen erhöhen sich und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient verstärkt sich.
Was bedeutet Dir die Auszeichnung der Deutschen Balint-Gesellschaft e.V. für dein Projekt?
Louisa: Ich habe mich gefreut, denn für uns Studenten ist es eine schöne Anerkennung. Wir haben das Projekt mit der AG Interprofessionelle Lehre und mit Hilfe des Allgemeinmedizinischen Instituts aufgebaut. Ansonsten waren wir als studentische Organisation eher frei, weswegen der Preis einer angesehenen Gesellschaft ein hoher Vertrauensbeweis ist. Wir erheben regelmäßig Evaluationen und die Resonanzen der Patienten sind durchweg positiv und sehr gut. Es macht echt Spaß zu sehen, wie dankbar Patienten sind, dass sie einfach mal eine halbe Stunde erzählen dürfen und sich gehört fühlen.
Vielen Dank für das Interview!