„Lächeln Sie nicht zuviel. Ralph Jung probt Emilia Galotti“ — ein interessanter Titel, der nicht allzu viel verrät. Das Theater Erlangen zeigt im Rahmen der „Werkschau: Lessing“ vom 3. bis zum 8. März unter anderem dieses Stück. Im Interview mit Regisseurin Annika Schweizer geht es um die Inszenierung und das Männer– und Frauenbild in unserer Gesellschaft. Mögen alle Frauen pink und alle Männer Fußball?
Die Grundgeschichte von Emilia Galotti ist ja, dass der Prinz Emilia auf sein Lustschloss holt und gerne als seine Geliebte hätte. Zu der Zeit wäre es nicht so gut gewesen, wenn sie sich darauf eingelassen hätte…
Annika: …zumindest im bürgerlichen Kontext.
Genau. Deswegen hat sie dann ihren Vater gebeten sie umzubringen, bevor sie den Verführungen des Prinzen erliegt.
Annika: So kann man das sagen. Man kann natürlich auch alles Mögliche hineininterpretieren. Theoretisch könnte man auch sagen: Sie will eigentlich nicht so einen Typen haben, weil sie so einen Menschen grundsätzlich verabscheut. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass sie ihn tierisch scharf findet und sie möchte nicht, dass die Seite gewinnt. (lacht)
Und ihr versucht jetzt, das Stück in die aktuelle Zeit zu bringen?
Annika: Eigentlich versuchen wir nicht, das Stück in die aktuelle Zeit zu bringen. Wir setzen uns damit auseinander, was für ein Männer– und Frauenbild wir heute haben und welches uns diese Emilia Galotti zeigt, die 1772 geschrieben wurde. Man könnte denken, das ist total veraltet. Wenn man diese Emilia anschaut, die wie ein kleines, unschuldiges Mädchen keinen eigenen Willen hat — zumindest zu Beginn des Stücks — würde man denken: So etwas gibt es heute eher nicht. Ein Mädchen, das sich komplett unterordnet und mit dem man machen kann, was man will. Neben Emilia schauen wir uns noch die Prinzenfigur an, um auf das Männerbild zu kommen. Was ist das für ein Typ? Es geht dann aber mehr um uns: Was haben wir heute für ein Männerbild, wie soll ein Mann sein?
Also in der Gesellschaft.
Annika: Genau. Am Anfang habe ich zu Ralph, dem Schauspieler, gesagt: Wie ist ein Mann? Was ist das erste, das dir einfällt, ohne Zensur? Dann hat er zum Beispiel gesagt: Fußball, Weiber, Bier und Heavy Metal. Das würde er männlich finden. Er würde sich nicht als unmännlichen Mann sehen, aber er schaut kaum Fußball, trinkt zu Hause kein Bier und hört kein Heavy Metal. Es gibt ein gesellschaftliches Bild davon, wie man zu sein hat und das ist gerade ein bisschen im Wandel.
Ich habe einen Artikel in der Zeit entdeckt, der dazu passt. Es geht darum, dass früher in der patriarchalen Gesellschaft vorgegeben war, dass der Mann der Beschützer ist. Das wird durch die Gleichberechtigung heutzutage anders gesehen…
Annika: Das ist so eine Sache, die wir infrage stellen. Offiziell sehen wir das nicht mehr so, aber irgendwie herrscht dieses Rollenbild trotzdem noch vor. Es gibt wahrscheinlich trotzdem noch viele Frauen, die eigentlich einen Mann haben wollen, an den sie sich anlehnen können. Ein Fels in der Brandung. Eigentlich sind wir komplett emanzipiert, aber wenn der Mann – sagen wir mal böse – ein Schwächling ist und kein Fels in der Brandung, dann ist das nicht so attraktiv.
Das ist interessant. Weil in dem Artikel geht es gerade darum, dass bei den Silvester-Vorfällen in Köln die deutschen Männer, die mit ihren Frauen dort waren, sich nicht für sie geschlägert haben.
Annika: Das wird angekreidet, oder?
Ja. Und dann heißt es, dass sich das wohl geändert hat und Männer anscheinend gar nicht mehr diese Beschützerrolle haben.
Annika: Der Witz ist ja, dass alle empört sind und es dieses Bild gibt: Eigentlich müssten die Männer das doch gemacht haben. Das zeigt ja auf der anderen Seite, dass das noch immer die Anforderung an den Mann ist. Deswegen war es ganz gut, mit einem Schauspieler zu arbeiten, weil er diese männliche Sichtweise mit einbringen konnte. Wenn ich jetzt eine Schauspielerin auf die Bühne gestellt hätte, die erzählt, wie benachteiligt die Frau ist, dann kann das richtig schön abgewunken werden: Mein Gott, wieder so eine Frau, die sich beschwert. Wenn das ein Mann macht, ist es nochmal etwas anderes.
Ist das auch seine Meinung? Kann er mit Feminismus etwas anfangen?
Annika: Er ist auf jeden Fall für Gleichberechtigung, aber der Gender-Diskurs war komplett neu für ihn. Das hat er sich über das Projekt erarbeitet und es war für ihn eher ein Entdecken, sich in diesem Rahmen mit Rollenbildern und gender und sex zu beschäftigen. In die Figur, die wir entwickelt haben, ist viel von Ralph eingeflossen. Aber was er auf der Bühne sagt, ist natürlich nicht hundertprozentig das, was er auch privat sagt.
Haltet ihr euch dann noch an den Stücktext?
Annika: Es gibt einzelne Passagen von Lessings Figuren, die angespielt werden: Emilia, der Prinz und Orsina.
Der Fokus liegt auf den drei Figuren?
Annika: Ja, es gibt eine Einführung in den Plot, aber alles andere wäre sonst zu viel gewesen. Wir hatten zehn, zwölf Proben, in denen wir uns mit Gender und Feminismus auseinandergesetzt haben, mit Emilia Galotti und dann szenisch gearbeitet und Text kreiert haben. Zum Beispiel spielt Ralph Emilia in einer Szene auf verschiedene Weisen.
Also ist es ein Ausprobieren, wie man die Figuren interpretieren kann?
Annika: Es ist ein Offenlegen des Bildes, das viele von Emilia haben. Emilia als unbedeutende Titelfigur, eine Figur, die man eigentlich nur braucht, um zu erzählen, wie schlecht das System ist. Dass Adlige beliebig herrschen dürfen und Bürger sich noch nicht emanzipiert haben. Es gibt viele Lesarten des Stücks, die darauf hinzielen. Das finde ich irgendwie sehr witzig. Da wird diese Frauenfigur zum reinen Werkzeug, um etwas anderes zu erzählen. Wir haben uns jetzt sehr stark mit Emilia als Figur beschäftigt. Die Handlung passiert ja an einem Tag. Früh wird sie von dem Prinzen fast vergewaltigt, dann wird ihr Verlobter umgebracht und sie auf das Lustschloss des Prinzen gebracht, eigentlich entführt.
Deswegen verstehe ich auch, warum andere darin lesen, dass sie sehr fremdbestimmt ist.
Annika: Ja, aber der Witz ist ja, dass die äußeren Umstände zu der Zeit so sind, dass sie nicht sagen kann: Nein, lass mich. An einer Stelle sagt sie aber, dass sie einen Willen hat. Und da ist sie sehr stark und emanzipiert, finde ich. Sie sieht in diesem System nur keinen anderen Weg, ihren Willen durchzusetzen, als dass sie sich umbringt. Anders kann sie dem nicht entkommen. Dann bringt sie ihren Vater dazu, sie umzubringen. Das ist doch sehr selbstbestimmt. Sie ist ein Opfer, weil sie keinen anderen Weg herausfindet, aber sie ist kein schwaches Opfer. In anderen Kontexten ist das ein Märtyrer.
Ihr seht sie als moderne, emanzipierte Frau?
Annika: Auf jeden Fall ist sie auf dem Weg dahin. Am Anfang ordnet sie sich noch unter. Am Schluss ordnet sie sich nicht unter. Der Vater möchte nicht, dass sie sich umbringt. Trotzdem ist sie in fast allen Diskursen das Opfer, und andere Inszenierungen stellen sie auch fast immer so dar. Wir haben uns dann mit den Frauenbildern beschäftigt und damit, wie sie in unserer Gesellschaft immer noch vorkommen.
Seid ihr dann darauf gekommen, dass es heutzutage gar nicht so anders ist?
Annika: Das ist die Behauptung, dass wir gar nicht so weit weg sind von Lessing. Nach außen, klar, haben wir Emanzipation. Die Frau darf wählen und arbeiten, aber eigentlich hat sich nicht so viel geändert. Wir haben nämlich kein Problem damit, immer und immer wieder solche weichen, schwachen Frauenopfer auf der Bühne und im Fernsehen zu sehen. Vor allen Dingen im Theater, da ist Emilia keine Ausnahme. Es gibt Gretchen, Luise …
Die werden alle noch klassisch gespielt.
Annika: Ja, und wenn sie mal nicht klassisch gespielt werden, dann empören sich viele Zuschauer. Aber über das schwache Opfer, das auf der Bühne heult, darüber beschwert sich keiner. Also scheint das unser Bild zu sein. Es ist okay. Und das ist jetzt meine Aussage, unabhängig vom Stück: Ich finde das nicht okay. Das gleiche gilt aber auch für die Männer. Die haben auch ihre Probleme damit, wie über „den“ Mann gedacht wird, wie er sein soll, was er können muss. Wenn er nicht so ist, hat er’s auch nicht leicht. Und dann gibt’s noch Orsina, die eine emanzipierte, starke Frau ist und von den Männern eher als lästig angesehen wird. So wird sie auch in vielen Inszenierungen dargestellt, als Vamp. Das ist ein spannendes Phänomen, finde ich. Wenn Frauen zu emanzipiert sind, zu stark, dann müssen sie immer noch damit rechnen, dass sie eine Femme Fatale sind. Dazu habe ich einen Artikel gelesen, wie mächtige Frauen in der Presse betitelt werden: Als „Powerfrau“, „Femme Fatale“, „listige Witwe“. Männer als „Alphatier“, „Leitwolf“ oder „Managerdenkmal“. Wenn du als Frau etwas erreicht hast und emanzipiert bist, wirst du von gesellschaftlichen Medien negativ bewertet. Männer positiv.
Das ist die berufliche Seite. Im Privaten ist es ja auch noch so, dass Frauen, die zu viele Partner haben, schnell als Schlampe gelten. Und für Männer ist es normal. Da hat sich das Rollenverständnis im Kopf auch nicht wirklich verändert.
Annika: Es gibt immer noch zweierlei Maßstäbe, und das findet man auf ganz vielen Ebenen. Ich glaube, wenn Medien der Gesellschaft immer weiter vermitteln, dass erfolgreiche Frauen irgendwie schwierig sind, wird auch das gesellschaftliche Bild in der breiten Masse so sein. Oder wenn Frauen in der Politik sind, muss immer hervorgehoben werden, dass sie mütterlich sind. „Mama Merkel“ ist das perfekte Beispiel. Ich habe noch nie „Dad Obama“ gehört. Aber Frau Merkel, die nicht mal Mutter ist, ist die Mama aller Deutschen, damit sie bloß nicht zu männlich ist. Es ist eine Wechselbeziehung, wie wir Frauen zeigen und über sie denken. Weil wir immer noch so denken, zeigen wir sie auch so. Und wenn ich als Mensch immer gezeigt bekomme, wie eine Frau ist, verhalte ich mich ja auch so. Ich identifiziere mich damit und nehme bestimmte Sachen an. Das prägt. Gerade achtet man auch wieder stärker darauf, dass es hellblau für Jungs gibt und rosa für Mädchen. Das bewirkt ja etwas. Man lernt als Mädchen, dass man rosa und pink mögen sollte und wird auf eine Art wieder in eine süße, kleine Rolle gepresst. Daraus folgt, dass viele sich so geben und so werden. Dann hole ich mir einen Freund, der groß und stark ist und mir sagt, was ich tun soll.
Aber werden die Jungs überhaupt noch so erzogen?
Annika: Das ist das Problem, das die Männer haben. Man möchte nicht mehr solche Brutalo-Jungs haben, jedenfalls theoretisch, und man möchte Männer, die verstehen und kommunizieren. Also werden Jungs auch meistens so erzogen. Dann sind sie so erzogen und es gibt trotzdem noch die Anforderung, dass sie stark und Beschützer sein sollen. Das ist ihr Problem. Klar, durch die Emanzipation können sie sich nicht mehr dadurch definieren, dass sie arbeiten und das Geld nach Hause bringen. Jetzt müssen sie etwas Neues finden, was sie ausmacht. Meine Behauptung ist, das hängt alles mit den Geschlechterrollen zusammen. Ein Mann hat diese Eigenschaften, eine Frau hat jene Eigenschaften. Wenn wir aufhören würden, in so einem binären, total abgrenzenden System zu denken und einfach nur Individuen angucken würden, dann kann jedes Individuum selbst entscheiden. Es gibt Menschen, die passen in das System nicht hinein, die sind nicht typisch Mann oder typisch Frau. Es ist nicht so schwarz-weiß, wie wir gerne denken. Nicht so klar.
Danke für das Interview und viel Erfolg bei der Aufführung!
Dieser Text erschien zuerst im studentischen Kulturmagazin www.reflexmagazin.de
Patricia Achter